„Joe Boots“ von Florian Baron (10.07.2018)


 

Der junge Regisseur Florian Baron kehrte  fünfzehn Jahre nach dem Abitur wieder an seine alte Schule  in Röthenbach zurück, um  Oberstufenschülern des Geschwister-Scholl-Gymnasiums seinen preisgekrönten künstlerisch gestalteten Dokumentarfilm „Joe Boots“ vorzustellen. Er ist das erschütternde Porträt eines jungen Soldaten, dem die Kriegserlebnisse  tiefe Wunden geschlagen haben: Der damals 17-jährige Joe Boots (Filmname) verlässt unter den Eindrücken der Terroranschläge des 11. September 2001 die Highschool und wird nach einer militärischen Grundausbildung zum Einsatz in den Irakkrieg geschickt, von dem er traumatisiert zurückkehrt.  Florian Barons dreißigminütiger Kurzfilm ist  Teil eines längeren Dokumentarfilms mit dem Titel „Stress“, der 2018 in die Kinos kommen wird.

Posttraumatischer Stress bei Ex-Veteranen ist ein weit verbreitetes und schockierendes Phänomen, das nicht nur ältere Generationen betrifft, wie die Schüler und Schülerinnen feststellen konnten. Unter einem Kriegsveteranen hatten sie sich einen ergrauten reiferen Mann, einen „altgedienten“ Soldaten , vorgestellt, und  so zeigten sie sich sehr erstaunt, als ihnen ein ca. vierzigjähriger lebhafter und jugendlich wirkender Amerikaner  aus Pittsburgh gegenübersaß. Der Protagonist des Films „Joe Boots“ war mit nach Röthenbach gekommen, um sich im Anschluss an die Filmvorführung den Fragen der Jugendlichen zu stellen. Florian Baron möchte in seinem Film darauf aufmerksam machen, was in den Köpfen der traumatisierten  Soldaten vorgeht. Er zeigt auf beeindruckende Weise, wie deren Innenwelt im Film sinnlich erfahrbar gemacht werden kann. Das Mittel der Zeitlupe  setzt der junge Filmemacher ganz bewusst ein: Alltägliche Szenen  wirken dadurch entrückt und der Zuschauer  entwickelt ein Gefühl für die veränderte Wahrnehmung des  Protagonisten und damit auch mehr Verständnis für die zerbrochene Welt des Kriegsveteranen. „Joe Boots“ ist ein sehr anspruchsvoller Dokumentarfilm, der  die Sinnlosigkeit der Kriegseinsätze offenbart und  Kritik übt sowohl am Umgang der amerikanischen Gesellschaft mit den Kriegsheimkehrern als auch an der Verherrlichung von Kriegseinsätzen und am amerikanischen Patriotismus.

Gespräch der Schüler mit dem Hauptdarsteller

Doch wie sieht  Joe selbst den Film? Er betrachtet ihn als Teil eines Heilungsprozesses,  um mit seinem Trauma umzugehen. Sehr offen und  ohne Scheu erzählte er der versammelten Oberstufe des GSG davon, wie er nach seiner Rückkehr die Kontrolle über sein Leben verlor und alkoholabhängig wurde. „Manchmal wünschte ich mir, sie hätten mir die Arme oder Beine weggeschossen, damit jeder sehen kann, dass mit mir etwas nicht stimmt. Damit man sieht, wie verletzt ich bin.“ Doch Joes Wunden  sind unsichtbar, seine seelischen Verletzungen  blieben verborgen. Gerade deshalb ist es so schwer, Außenstehenden die schrecklichen Erlebnisse zu vermitteln. Die Suizidrate von jüngeren Kriegsveteranen steigt kontinuierlich an.  Auch Joe fühlte sich von Freunden und Verwandten unverstanden.  Heute hat er die Kraft gefunden, in ein normales, geregeltes Leben zurückzufinden. Er  versteht sich als „earthling“, als Weltenbürger, der überall zu Hause ist. Eine Welt, die Frieden haben möchte, müsse schließlich  wissen, was Krieg bedeutet. Seine Erzählungen gehen auch ohne brutale Kriegsbilder unter die Haut.  Die engagierten Elftklässler nutzten die Zeit, um dem Hauptdarsteller in englischer Sprache  interessierte, teils auch sehr persönliche Fragen zu stellen und suchten sogar  nach der Veranstaltung noch  das Gespräch mit dem sympathischen US-Amerikaner, dem es nicht zuletzt  mit Hilfe von Filmemacher Florian Baron gelungen ist, mit seinem Trauma zu leben.