„Vergesset nicht Freunde – wir reisen gemeinsam! (29.01.2019)


 

„Vergesset nicht Freunde – wir reisen gemeinsam!“ Mit diesen Gedichtzeilen der jüdischen Autorin Rose Ausländer lud das Geschwister-Scholl-Gymnasium Röthenbach zusammen mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken e.V. ein zu einer literarisch-musikalischen Reise anlässlich der Woche der Brüderlichkeit.  In diesem Jahr steht die Woche der Brüderlichkeit unter dem Motto „Mensch, wo bist Du? Gemeinsam gegen Judenfeindschaft“. Die Frage Gottes „Mensch, wo bist du?“ (1. Buch Mose) richtet sich an uns alle und zielt in ihrem Kern auf die Verantwortung jedes Einzelnen. Die Woche der Brüderlichkeit setzt gerade in Zeiten, in denen ein feindlicher werdendes Klima zu beobachten ist, ein wichtiges Zeichen für gegenseitige Akzeptanz in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Oberstudiendirektor Clemens Berthold erinnerte in seinem Grußwort an den 27. Januar 1945  – den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz – und betonte, dass eine Schule, die den Namen der Geschwister Scholl trage, sich in besonderer Weise dazu verpflichtet fühle, der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur zu gedenken. Der literarisch-musikalische Abend am Geschwister-Scholl-Gymnasium sei, so Schulleiter Berthold, eingebunden in eine beeindruckende Veranstaltungsreihe der gesamten Region. Ans Geschwister-Scholl-Gymnasium gekommen war deshalb auch Thomas Ohlwerter von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Franken e.V.. Seine Aufmerksamkeit galt vor allem den Jugendlichen, die sich auf das schwierige Thema Antisemitismus einlassen und den Mut haben, sich dagegen zu stellen und Vorurteile zu überwinden.

Die Texte der jüdischen Autoren, vorgetragen von Oberstufenschüler/innen der Theatergruppe, spannten einen literarischen Bogen von Stefan Zweig bis Erich Fried. Zusammengestellt wurden sie von den beiden Deutsch-Fachbetreuerinnen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Gudrun Prucker und Karin Haiber, die auch durch das Programm führten.

Das Publikum wurde mit traditioneller jüdischer Musik, die sich schon immer als lebensnotwendiges Mittel der Selbsterhaltung verstand, entführt in das ferne „Schtetl“ – Symbol für das jüdische Leben vor der Shoah. Die Lieder spiegeln die Spannung wider zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen vertrauensvoller Hingabe und schmerzvoller Klage. Doch auch die jüdische Lebensfreude kam an diesem Abend nicht zu kurz. Die Musiklehrerinnen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums  Priska Wagner-Paulus (Gitarre) und Sarah Högner (Geige) sowie  Christoph Grassl (Klarinette), der Leiter der Musikschule Lauf, trugen virtuos das Stück „Frejlechs“ vor, einen jüdischen Tanz, der von Klezmorim auf jüdischen Hochzeiten gespielt wurde. Charakteristisch für die an diesem Abend gespielte Klezmer-Musik sind die abrupten Stimmungswechsel. Mal sind die Melodien dem Anlass entsprechend traurig und melancholisch, dann wieder euphorisch und voller Schwung. Sehr berührend war das von Gudrun Prucker gesungene alte jiddische Volkslied „Zen brider“  mit dem ausdrucksstarken Refrain „Shmerel mitn fidl, Tewje mitn bass.“ Es erzählt von zehn Juden, die verschiedenen Handelstätigkeiten nachgehen und nacheinander umkommen.

Flucht und Exil

„Ich hatte einst ein schönes Vaterland“, beklagte die aus Galizien stammende Dichterin Mascha Kaleko in ihrem lyrischen Werk „Emigrantenmonolog“. Mit der Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung stellte sich für viele jüdische Literaten die Frage, ob eine deutsch-jüdische Symbiose überhaupt möglich sei. Vorgetragen wurden Gedichte unter anderem von Hilde Domin, die ebenfalls ins Exil flüchten musste und ihre Vergangenheit in ihren Gedichten verarbeitete, sowie von Erich Fried. Deutsch bedeutete für den assimilierten Juden mehr als nur ein Mittel der Kommunikation. Die deutsche Sprache war seine Kultur, Deutschland sein Zuhause.

Das ebenfalls von Gudrun Prucker gesungene Lied „Schtill, die Nacht is ojsgeschternt“ zur Melodie eines russischen Volksliedes handelt von der Geschichte einer jüdischen Widerstandskämpferin aus dem litauischen Ghetto Wilna und enthüllt Traurigkeit und Verzweiflung, aber auch Hoffnung und Sehnsucht. Der Verfasser des Liedes Hirsh Glik wurde 1944 im Kampf gegen deutsche Truppen ermordet. Aus seiner Feder stammte auch das letzte Musikstück des Abends „Sog nit kejnmol“, das wie kein anderes die Willenskraft des jüdischen Volkes  demonstriert. Inspiriert von dem Ghetto-Aufstand in Warschau, wurde das Lied zur Hymne des jüdischen Widerstands.

Besonders beeindruckend war das im Chorischen Sprechen vorgetragene Gedicht „Todesfuge“ von Paul Celan. Das als „Jahrhundertgedicht“ bezeichnete Werk gedenkt der Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungslager und versucht ein Bewusstsein zu schaffen für das unvorstellbare Leid. Die Verse des Gedichts wurden auf einzelne Sprecher verteilt, sodass der Charakter der Totenklage, die dem ganzen jüdischen Volk galt, durch und durch spürbar war und  beim Publikum unter die Haut ging (siehe Bilder).

Zwei Tage nach dem Holocaust-Gedenktag kehrte niemand von der musikalisch-literarischen Reise am Geschwister-Scholl-Gymnasium nach Hause zurück, ohne vom Schicksal der deutschsprachigen jüdischen Literaten tief berührt worden zu sein. Ihnen gebührt unsere Hochachtung und unser Dank für die großartigen Werke, die sie der Nachwelt hinterlassen haben.

 

Sigrid Söldner